Gemeinsam gegen den Ruck nach rechts

Wie rechtsextreme Parteien Inklusion gefährden und was wir dagegen tun können

Fast 50 Frauen sind gekommen. Sie haben sich in einem großen Halbkreis vor dem Bremer Rathaus aufgestellt. Viele haben Plakate mitgebracht. Auf einigen steht: „Omas gegen rechts“. Es ist der erste Sonnabend im Februar. Um kurz  vor 13 Uhr treffen sich die Frauen auf  dem Marktplatz. Das machen sie immer am ersten Sonnabend eines Monats. Manche sind älter, andere jünger. Eine stützt sich auf Krücken, weil sie nicht gut laufen kann. Eine andere sitzt auf ihrem Rollator. Sie demonstrieren friedlich. Gegen etwas, das für sie gerade ganz falsch läuft in Deutschland. Renate Witzel-Diekmann hält ein Mikrofon in der Hand. Sie ist die Sprecherin der Gruppe. Seit 2018 gibt es die „Omas gegen rechts“ überall in Deutschland. Die Bremerin Gerda Smorra gründete die Bremer „Omas gegen rechts“. Sie regte die Gründung vieler anderer Gruppen an. Auch im Internet auf Facebook sind die „Omas“ zu finden. „Heute sind besonders viele Frauen gekommen. Wir sehen, was geschieht und schauen nicht weg“, sagt Renate Witzel-Diekmann. Gemeinsam halten sie eine Mahnwache. Sie singen Lieder für Frieden, Freiheit und Demokratie. Denn genau das sehen sie gerade in Gefahr. In vielen Ländern werden rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien stärker. „Rechtsruck“ wird das genannt. Auch in Deutschland gewinnt die Partei AfD an Zustimmung. Die Abkürzung steht für „Alternative für Deutschland“. Was macht diese Parteien aus? Sie haben eine Die „Omas gegen rechts“ demonstrieren friedlich vor dem Bremer Rathaus. Renate Witzel Diekmann begrüßt die Frauen. Sie trägt ein blaues Stirnband aus Wolle.  besondere politische Meinung. Sie stehen nicht für bunte Vielfalt in einem Land. Eher haben sie ein veraltetes Weltbild. „Sie sind gegen Gleichberechtigung. Die Frauen wollen sie zurück an den Herd schicken. Die wollen, dass Frauen die Kinder großziehen“, sagen die „Omas gegen rechts“. Auch wollen sie einige Menschen aus Deutschland wegschicken. Darunter auch solche, die schon lange hier leben. Oder sie wollen Geflüchtete gar nicht erst hineinlassen.

Manche Menschen sind für diese Parteien weniger wert als andere. Menschen aus anderen Ländern zum Beispiel. Und Menschen aus anderen Kulturen oder mit Beeinträchtigung. Oder Arme. Diese Denkweise kann gefährlich für die Demokratie sein. Denn in einem demokratischen Land bestimmen alle Menschen mit. Jeder darf seine eigene Meinung haben. Auch Menschen aus Minderheiten. Niemand wird ausgeschlossen. „Die AfD grenzt Menschen aus, die nicht in ihr Bild passen. Sie will allein bestimmen“, sagen die „Omas“.

Welche Gefahren gehen von Gruppen wie der AfD aus?

Gerald Wagner und Florian Grams sind Kollegen. Sie arbeiten bei der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen Bremen. Die wird LAGS abgekürzt. Florian Grams hat auf der großen Demo in Bremen eine Rede gehalten. Das war Ende Januar. Fast 50.000 Menschen sind auf dem Marktplatz und dem Domshof gewesen. In ganz Deutschland waren es Hunderttausende.

Junge, Alte, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Menschen unterschiedlicher Herkunft und Geschichte. Sie wollen, dass Deutschland ein guter Ort für alle ist und bleibt. „Gemeinsam auf die Straße zu gehen, erfordert Kraft und Mut“, sagt Grams.

„Rassismus und die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung machen mir Angst. Die AfD findet, dass der Sozial- statt zu viel kostet, und will Geld einsparen. Sie will die unter- stützen, die viel leisten können. Es gibt aber schwächere Gruppen in der Bevölkerung. Die kosten möglicherweise mehr Geld. Ich sehe da viele Gefahren – auch für Menschen mit Behinderung. Die AfD findet: Eine Schule für alle nutzt den meisten Schülern nichts. Sie bremst sie eher aus. Daher will die Partei Sonderschulen und Förderschulen wieder einführen. Die Sicht der AfD? Wer nicht genug leisten kann, wird ausgeschlossen. Es widerspricht vollständig dem inklusiven Gedanken. Kindern, die in Sonderschulen gehen, erschwert man den Weg ins Erwachsenenalter. Für sie ist es später schwieriger, im Leben einen Platz zu finden.“

Inklusion ist genau das Gegenteil, weiß Grams. Dort gibt es keine Ausgrenzung. Die Gesellschaft wird menschlicher, wenn alle ihren Platz haben. Wenn nicht für alle Menschen Platz ist, ist das unmenschlich. Rechte Gruppierungen wie die AfD können Teile der Bevölkerung noch weiter ausgrenzen. Darüber denkt Grams viel nach. Er sagt: „Menschen mit Beeinträchtigung können ein gutes Leben führen. Inklusion ist erst erreicht, wenn wirklich alle die volle Teilhabe haben. In der Nachbarschaft, bei der Arbeit, in der Schule.“ Und alle müssen die gleichen Rechte haben.

„Wir dürfen nicht dulden, dass die Ideen der AfD sich durchsetzen. Im privaten Leben und in der Politik. Demokratische Parteien dürfen nicht die Themen der AfD aufgreifen. Ihre Gedanken übernehmen, um sie selbst umzusetzen. Etwa, was das Schulsystem angeht oder den Umgang mit Geflüchteten. Wir müssen vielmehr alles stärken, was die Gemeinschaft zusammenhält. Und dabei zeigen, wie man füreinander eintritt. Das nennt man auch solidarisch sein. Wir müssen den Platz für ausgegrenzte Menschen erweitern. Alle müssten so leben, dass es Gruppen wie der AfD nicht gefällt.“

Warum darf sich Geschichte nicht wiederholen?

Matthias Meyer ist ein durchblicker und damit Teil der m-Redaktion. Auch er war auf der großen Demo. „Ich bin da nicht zum Spaß hingegangen. Was gerade passiert, macht mir schon ein bisschen Angst. Denn es könnte mich betreffen. Menschen mit Beeinträchtigung wurden früher verfolgt. Das war zwischen 1931 und 1945. Damals waren die Nationalsozialisten an der Macht. Faschisten werden die auch genannt. Sie missbrauchten Menschen mit Beeinträchtigung für medizinische Zwecke. Die Nazis machten Experimente mit ihnen. Viele wurden umgebracht. Die Nazis sagten, sie waren es nicht wert, zu leben. ,Lebensunwertes Leben’ nannten sie es.

Es ist grausam, was damals passierte. Niemals wieder darf es so etwas geben. Hätte ich damals gelebt? Dann wäre ich vielleicht auch sumgebracht worden.

Damit hat sich Deutschland etwas ans Bein gebunden. Das wird es nicht mehr los. Es gibt Leute, die wollen die Zeit zurückdrehen. Sie wollen, dass es wieder wird wie früher in Deutschland. Diese rechtsextremen Menschen machen mir Angst. Sie finden Teilhabe und Inklusion schrecklich. Sie wollen auch Menschen aus anderen Ländern hier nicht haben. Ich finde, die Gesellschaft soll bunt wie ein Blumenstrauß sein. So bunt wie ein Feuerwerk, eine Disco oder ein Jahrmarkt. Jeder soll gleichberechtigt leben können, zusammen mit den anderen.“

Warum gibt es den sogenannten Rechtsruck?

Thomas Köcher ist der Leiter des Landeszentrale für politische Bildung in Bremen. Die Landeszentrale hat die Aufgabe, über Politik zu informieren. Sie will zum Mitdenken und Mitgestalten anregen und damit die Demokratie stärken. „Die Gründe für den Rechtsruck sind ganz unterschiedlich. In jedem Land sind sie verschieden. In Frankreich hat er andere Ursachen als in Deutschland“, sagt Thomas Köcher. Warum kommt es dazu? Es kann sein, dass Menschen in einem Land das Vertrauen verlieren.

Zum Beispiel das Vertrauen in die demokratischen und weltoffenen Parteien. Manche Menschen sind auch unzufrieden mit den politischen Entscheidungen. Wieder andere stellen ihr eigenes Land über andere Länder. Hinzukommt, dass die unterschiedlichen Wünsche der Menschen in einem Land auf- einanderprallen. Etwa, wenn es um Einwanderung, die Freiheit der Religion und wirtschaftliche Interessen geht.

Wie können wir die Demoktratie stärken?

„Wir können die Demokratie stärken“, sagt Thomas Köcher. Bereits in der Schule müssen Kinder etwas darüber lernen, wie Politik funktioniert. Politische Bildung nennt sich das. Es muss gute Angebote für alle Bürgerinnen und Bürger geben. Die Angebote müssen alle Menschen erreichen. Egal, wie und wo sie in einem Land leben. Auch die sozialen Medien wie Facebook oder Instagram spielen eine Rolle. Dort äußern sich auch politisch extreme Menschen zu heutigen Problemen. Sie liefern einfache Antworten auf komplizierte Fragen. „Für vieles gibt es aber keine einfachen Lösungen“, weiß Köcher. Wenn alle Menschen eines Landes mitbestimmen, ist das snicht immer einfach. Denn es gibt viele unterschiedliche Meinungen. Manchmal muss man miteinander streiten. Manchmal passieren Fehler etwa bei politischen Entscheidungen. Dann muss man neu überlegen. „Demokratie ist anstrengend. Darauf muss man hinweisen“, sagt Köcher. Aber: Nur die Demokratie kann allen Menschen in einem Land gerecht werden. Und: „Wählen gehen ist immer richtig.“

Er kennt sich mit Politik aus. Thomas Köcher leitet die Bremer Landeszentrale für politische Bildung.

Die EU tut einiges für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Lisa Blome nennt Beispiele: Es gibt bald einen europäischen Behindertenausweis. Die EU zahlt auch Geld auch für Bauprojekte für mehr Barrierefreiheit. Oder sie fördert Teilhabeprojekte auf dem Arbeitsmarkt. So können Menschen mit Beeinträchtigung besser eine Stelle finden.s

Warum ist es wichtig, wählen zu gehen?

Lisa Blome ist vom „Europa Punkt Bremen“. Das ist ein Informationszentrum zu allen Themen der Europäischen Union. Die wird EU abgekürzt. Wer wählt, kann mehr mitbestimmen, sagt sie. Dass Bürgerinnen und Bürger ihre Vertreter wählen, nennt sich Demokratie. Manchmal geht eine Wahl sehr knapp aus. Da kommt es auf jede Stimme an. Wer gar nicht wählt, dessen Stimme geht verloren. Das kann Parteien stärken, mit denen man nicht einverstanden ist. Was ist die Europäische Union? Wie wird das Europaparlament gewählt? Und was haben die Menschen in Bremen und Bremerhaven  davon? Das steht in diesem m ab Seite 30. Diese Parteien können dann mehr Einfluss nehmen. Zum Beispiel extrem rechte Parteien. Die gibt es überall in Europa. Sie lehnen die EU ab oder möchten sie anders gestalten. Diese Parteien haben weniger Stimmanteile, wenn viele Menschen wählen gehen.

Im Europaparlament sitzen Abgeordnete aus den 27 Mitgliedsstaaten. Sie werden in ihren Ländern gewählt. Die nächste Wahl ist am 9. Juni. Lisa Blome findet es wichtig, dass die Menschen zur Europawahl gehen. Auch die, die in Bremen und Bremerhaven wohnen. Damit ihre Wünsche im Europaparlament besser vertreten werden. Dafür wählen sie Abgeordnete ihrer Lieblingspartei. Die gewählten Parteien schließen sich im Europaparlament mit ähnlichen Parteien zusammen. Neben den großen Parteien gibt es auch viele kleine. „Wählen gehen ist ein Recht. Es steht im Grundgesetz. Wir sollten es nutzen, damit in Europa weiter Frieden herrscht“, findet Lisa Blome. Es geht darum, dass sich viele Staaten gemeinsam stark machen für Inklusion. Dazu gehören auch bessere Rechte für Menschen mit Beeinträchtigung. Europaweit.

Warum gibt es keinen Weg zurück?

„Inklusion ist ein Menschenrecht. Auch in Zeiten knapper Kassen und Fachkräftemangel“, sagt Thomas Bretschneider.  Er ist der Vorstand des Martinsclub. Bretschneider warnt davor, Förderschulen wie früher wieder einzuführen. Das zum Beispiel will die AfD. Kinder mit Behinderung sind laut AfD besser in Förderschulen und Sonderschulen aufgehoben. Die anderen Schulen können Inklusion nicht leisten, glaubt die Partei.

„Dass wir noch lange keine Inklusion erreicht haben, ist uns allen klar. Wichtig ist aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, betont Bretschneider. Jeden Tag müssen wir alle beweisen, dass Teilhabe funktioniert. Teilhabe bedeutet mehr Lebensqualität für alle Menschen. Und mehr Chancen auf Erfolg im Leben. „Auch Menschen mit großem Hilfebedarf profitieren davon. Wir sind auf einem Weg, den man nicht umkehren kann“, sagt er. Menschen mit Beeinträchtigung in die Lebenswelt der Nichtbehinderten aufnehmen? Integration war ein Ziel des Martinsclub in den ersten Jahren nach der Gründung. Echte Teilhabe geht aber viel weiter, ist Bretschneider überzeugt. Denn sie ist seit 2009 mit der UN-Behindertenrechtskonvention auch Gesetz. Inklusion bedeutet: Unterschiedlichste Menschen kommen zusammen. Sie ergänzen sich und bereichern sich gegenseitig. So entsteht ein Gewinn für alle.

Als Vorstand des Martinsclub hatte Bretschneider etwas entschieden. „Wir müssen versuchen, in allen Bereichen inklusiv zu werden. Nicht nur in der Schule.“ In den vergangenen Jahren wurden alle Angebote des Vereins weiterentwickelt. Der Pflegedienst ist heute off en für alle. Beim Quartier-Wohnen leben Menschen, die Hilfe benötigen, in eigenen Wohnungen. Dort werden sie nach Bedarf unterstützt. Sie sind aktiver Teil der Nachbarschaft . Die Quartierszentren des Martinsclub stehen allen off en. Auch für private Feiern oder andere Anlässe. Im Bereich Teilhabe arbeitet der Martinsclub mit einigen Partnern zusammen. So können noch mehr Menschen erreicht werden.

In den vergangenen 15 Jahren wurde viel diskutiert, erinnert sich Bretschneider. Es gab nicht nur Gutes. Manche Rückschläge waren dabei. Nicht alles wurde gut umgesetzt. „Dann hieß es schnell: Wir brauchen wieder die Wohnheime wie früher. Oder die Förderschule oder die hochspezialisierten Fachkräfte.“ Bretschneider findet: „Das wäre der falsche Weg. Denn das geltende Recht will, dass alle die Teilhabe weiter verbessern. Und nicht, dass wir einen Schritt zurückgehen. Damit wir nicht das wieder niederreißen, was wir erreicht haben.“ Inklusion ist ein Menschenrecht. „Nichts in der Welt soll uns daran hindern, diesen Weg weiterzugehen.“

Was kann jeder Einzelne gegen den Rechtsruck noch tun?

Die „Omas gegen Rechts“ haben viele Ideen. Ein paar davon haben sie aufgeschrieben. Auf die Straße gehen, immer wieder. „Große Demos sind super“, schreiben die „Omas“. „Aber auch die einzelnen Menschen können etwas tun. Sie können mutig aufstehen und widersprechen. Mit Nachbarn, Verwandten und Kollegen reden. Über Gefahren informieren, die von der AfD und ähnlichen Parteien ausgehen. Von den guten Seiten der Demokratie erzählen.“ Und von einer Gesellschaft, die auf jeden einzelnen achtet.

Text: Catrin Frerichs
Fotos: Frank Scheffka, Adobe Stock

 

Infos aus dem Internet

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat Informationen zu fast allen politischen Themen. Sie ist an keine Partei gebunden. Mehr im Internet unter www.bpb.de

Viele Infos gibt es auch auf der Homepage der Bremer Landeszentrale. Dort ist ein Kalender mit Veranstaltungen zu finden. Mehr unter www.landeszentrale-bremen.de

Rechtsextremismus erklärt in Leichter Sprache unter www.verfassungsschutz.de

Mehr zu den „Omas gegen rechts“ unter www.omasgegenrechts-nord.de

Mehr zu Europa und der Europawahl unter www.europapunktbremen.de

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Ausgabe: m 1/2024

Text: Marco Bianchi
Abbildungen: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

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