Arne Frankenstein ist seit Mai Bremischer Landesbehindertenbeauftragter. Für unser Magazin “m” haben wir mit ihm gesprochen.
Einen neuen Job zu beginnen, ist aufregend und erfordert Mut. Das gilt besonders, wenn der Einstieg mitten in die Corona-Zeit fällt. Das erlebt momentan Arne Frankenstein. Seit dem 1. Mai ist er der neue Landesbehindertenbeauftragte in Bremen. In seiner Funktion ist er direkt gefordert. Denn besonders Menschen mit Behinderung sind in der Krise benachteiligt.
Arne Frankenstein ist ein Experte für Behindertenrechte. Während seines Jurastudiums in Hamburg legte er sich auf dieses Spezialgebiet fest. „Die Auseinandersetzung mit der UN-Behindertenrechtskonvention hat mich für das Thema sensibilisiert. Seitdem beschäftige ich mich damit, wie man Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen kann“, erklärt er den Einstieg in seinen beruflichen Werdegang.
Frankenstein selbst lebt mit einer Körperbehinderung. „Ich bin in den 90er-Jahren in Lübeck aufgewachsen. Mit meinem Rollstuhl war ich damals in der Schule ein Exot. Meine Eltern haben mich aber sehr dabei unterstützt, dass ich eine „normale“ Jugendzeit hatte“, erinnert er sich. Frankenstein weiß, dass sein Lebenslauf etwas Besonderes ist. Er ist nicht vergleichbar mit dem vieler anderer Menschen mit Behinderung. So betätigte er sich schon während seiner Ausbildung politisch. Er war Vorsitzender von „Selbstbestimmt Leben e. V.“ und Mitglied des Rundfunkrats von „Radio Bremen“. Dort kämpfte er für Inklusion. Also dafür, dass behinderte Menschen dieselben Chancen haben, wie alle anderen auch.
Diese Ziele verfolgt er seit dem Frühjahr auch als Bremer Landesbehindertenbeauftragter. Seine Rolle beschreibt er als „Sprachrohr der behinderten Menschen“. Er vermittelt zwischen ihnen und der Politik. „Ich will, dass die Interessen von Menschen mit Behinderung in politischen Entscheidungen Gehör finden. Inklusion muss in allen Lebensbereichen gelebt werden“, erklärt er. Handlungsbedarf sieht Frankenstein natürlich beim Thema Arbeit. Das ist nicht neu. Insbesondere muss sich hier etwas für Menschen mit einer geistigen Behinderung verändern. Für sie müssen mehr Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden. Neu ist jedoch sein Ansatz zur Verbesserung. Denn sein Appell richtet sich nicht vorrangig an die Bremer Wirtschaft. „Eine Vorbildfunktion sollte vom öffentlichen Dienst oder der Stadtverwaltung ausgehen“, so Frankenstein. Hier sieht er ein großes Potenzial, das bislang nicht genutzt wird.
In seiner neuen Funktion sieht sich Frankenstein als Teil eines langen Prozesses. Es gibt zwar verpflichtende Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Allerdings werden diese seiner Meinung nach noch nicht erfüllt. Ein Beweis dafür liefert ihm die gegenwärtigen Corona-Krise. „Gefährdet sind die Menschen, die ohnehin benachteiligt sind. Menschen, die in besonderen Wohnformen leben oder auch Kinder, die einen hohen Unterstützungsbedarf haben. Sie waren am härtesten von den Beschränkungen betroffen. Werkstätten und Schulen wurden geschlossen. Und zwar ohne, dass über die weiteren Bedarfe der Menschen nachgedacht wurde. Die dadurch entstandenen Modelle sind lebensfremd“, fasst er die Eindrücke seiner ersten Amtswochen zusammen.
Trotz allem kann Frankenstein den Umständen etwas Positives abgewinnen. Die Corona-Krise könnte einen großen Impuls auf die Ambulantisierung haben. Große Wohn- und Pflegeeinrichtungen widersprechen nicht nur dem Prinzip der Inklusion. Von ihnen geht zudem eine große Ansteckungsgefahr für die Bewohner aus. „Es ist mehr denn je an der Zeit, kleine und dezentrale Wohnangebote zu schaffen. Das zeigt die Krise ganz deutlich“, betont er. Gemeint sind Angebote, bei denen Nutzerinnen und Nutzer inmitten einer alltäglichen Nachbarschaft leben.
Mit den Mitteln der demokratischen Strukturen und viel Durchhaltevermögen will Arne Frankenstein die Inklusion in Bremen verbessern. Durchhaltevermögen wird er sicherlich reichlich mit in seinen neuen Job bringen. Da kann man sich ziemlich sicher sein. Sozusagen zum Beweis beendet er gerade zusätzlich seine Doktorarbeit. Damit nicht genug, steht auch der erste Nachwuchs in der Familie an.
Dieser Text erschien zuerst in unserem Magazin “m” 2/2020.
Bild: Tristan Vankann