Kommentar: Inklusion braucht Fachkräfte

Bremen schafft seinen Spitzenplatz in der Inklusion ab
Ein Kommentar von Christa Drescher, Fachleitung Jugendhilfe beim Martinsclub Bremen e. V., über die fachliche Qualifikation von Schulbegleitungen

„Bremen gilt als Vorzeigeland, wenn es um die Inklusion in Schulen geht. Die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention werden vorbildlich umgesetzt. Das Ziel, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten, wird hier erfolgreicher als anderswo verfolgt. Ein Grund dafür sind die hohen Anforderungen an die Schulbegleitungen, die mit den Kindern arbeiten. Diesen Job darf nämlich nur ausüben, wer eine spezielle pädagogische Ausbildung vorweisen kann und folglich über entsprechende Erfahrungen in diesem Beruf verfügt. Was absolut Sinn macht, schließlich ist die pädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit teils starken seelischen Beeinträchtigungen eine komplexe, herausfordernde Aufgabe. Die fachliche Qualität des Personals ist daher eine Grundvoraussetzung für inklusiven Schulunterricht. Dennoch will die Bremer Sozialbehörde einen neuen Kurs einschlagen und auf diesem Gebiet künftig ungelernte Hilfskräfte einsetzen. Auf Profession, Erfahrung und praktisches Wissen – was qualifiziertes Personal ausmacht – soll verzichtet werden.
Dieses absurd anmutende Vorhaben wird offiziell begründet mit dem eklatanten Fachkräftemangel. Ja, zu wenige Menschen ergreifen diesen Beruf. Und natürlich mag es auch Naturtalente geben, die ohne Formalqualifikation einen guten Job machen. Aber rechtfertigt dies die fachliche Aushöhlung eines ganzen Berufsstandes? So würde das Schicksal der Kinder in die Hände von Kräften gelegt, die nicht fachlich fundiert, sondern aufs Geratewohl hin agieren. Dies ist für alle Beteiligten eine denkbar schlechte Lösung.
Vielmehr müssen Anreize geschaffen werden, um junge Menschen sowie auch Quereinsteiger von der Ausbildung zu überzeugen. Letztlich drängt sich aber der Verdacht auf, dass das Land Bremen mit der Beschäftigung fachfremden Personals schlicht Geld sparen möchte. Dies wäre ein allzu plumper Versuch, die klamme Staatskasse auf Kosten beeinträchtigter Kinder aufzuhübschen. Dabei lohnen sich doch gerade jetzt Investitionen ins Bildungssystem. Ansonsten steigen die Kosten, die man jetzt einzusparen versucht, künftig ins Unermessliche.
Während der Coronakrise haben Schülerinnen und Schüler, vor allem jene mit einer Beeinträchtigung, schon genug verpasst. Die vielen Beschränkungen haben zu seelischen und körperlichen Belastungen geführt, mühsam erarbeitete Inklusionserfolge wurden zunichte gemacht. Hinzu kommt ein besorgniserregender Anstieg von psychischer, häuslicher und sexualisierter Gewalt. Das Ausmaß dieser sozialen Katastrophe ist noch gar nicht absehbar, die Folgen werden uns noch Jahre beschäftigen. Für diese enorme Herausforderung braucht es unbedingt pädagogische Fachkräfte. Stattdessen setzt Bremen in dieser prekären Situation allen Ernstes auf weniger statt auf mehr pädagogische Qualität. Dies ist ein Vergehen am Wohlergehen und an der Zukunft der Kinder. Das gesamte Schulsystem wird unter diesem wahnwitzigen Unterfangen leiden. Wir als Martinsclub Bremen e. V. fordern die Sozialbehörde auf, diesen Schritt zu überdenken – vor allem im Sinne der betroffenen Kinder.“

Drescher, Christa
Jugendhilfe
Fachleitung Jugendhilfe