Sonne, Mond und Sterne

Das Geheimnis der Himmelsscheibe von Nebra

Die Himmlescheibe von Nebra mit ihren Beifunden: zwei Schwerter, zwei Beile, Armringe und Meißel aus Bronze
Die Scheibe ist in etwa so groß wie eine Schallplatte. Gemacht wurde sie aus Bronze und Gold. Und noch mehr wurde mit der Scheibe zusammen vergraben. 2 Schwerter, 2 Beile, Armringe und 1 Meißel gehören zu dem Schatz. © LDA, Foto: Juraj Lipták

Vor 25 Jahren machten kriminelle Schatzsucher mitten in Deutschland einen sensationellen Fund. Bei Nebra in Sachsen-Anhalt sind sie auf eine geheimnisvolle Scheibe gestoßen.  In Sachsen-Anhalt darf man nicht einfach behalten, was man im Boden findet. Wenn es ein bedeutender Fund ist, gehört er dem Bundesland. Die Räuber behielten den Schatz aber für sich. Dann versuchten sie, ihn heimlich zu verkaufen. Auf dem Schwarzmarkt suchten sie einen Käufer. Dabei gerieten sie allerdings an den Falschen. Nämlich an Harald Meller. Der ist Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in der Stadt Halle.

Mit der Polizei konnte Meller den Schatz in einer verdeckten Ermittlung sicherstellen. Seitdem können alle Menschen die Scheibe bestaunen. Dafür müssen sie nur ins Museum nach Halle gehen. Und auch die Forschung hat bereits einiges über die Scheibe herausgefunden. Dabei setzt sie die modernsten Techniken ein.

Die Himmelsscheibe von Nebra wurde vor etwa 3.800 Jahren geschmiedet. Also lange vor der Geburt von Jesus Christus. Auf ihr sieht man die erste konkrete Himmelsdarstellung der Welt.

Erklärung zu den Jahreszahlen:
Unsere Zeitrechnung hat vor gut 2.000 Jahren begonnen. Sie beginnt mit der Geburt von Jesus Christus im Jahr Null. 800 Jahre Jahre vor Christi Geburt ist zum Beispiel gut 2.800 Jahre her. Denn wir befinden uns im Jahr 2024.

Sie fasziniert uns und gibt uns Rätsel auf. Sie stammt aus einer Zeit, die wir kaum kennen. Jedenfalls in Europa. Im Alten Ägypten standen bereits die großen Pyramiden. Im Alten Orient gab es prächtige Türme, prunkvolle Städte und große Könige. Aber hier bei uns? Höchstens ein paar “wilde” Menschen. Sie lebten in Gruppen. Sie tanzten um Bäume und schlugen sich die Köpfe ein. Oder? Die Himmelsscheibe will dazu nicht passen. Auf ihr ist kompliziertes Wissen über den Himmel dargestellt. Zudem ist sie ein Meisterwerk der Schmiedekunst. Doch hergestellt wurde sie eindeutig hier bei uns. Sie wurde nicht etwa aus Babylon im Orient gestohlen und hierher gebracht.

Babylon war eine uralte Stadt, Sie lag im heutigen Irak. Babylon war bekannt für seine großen Bauwerke. Zum Beispiel für den berühmten Turm von Babylon.

Was ist auf der Himmelsscheibe zu sehen?

Ein Sichelmond und ein Sternenbild am Nachthimmel
Sichelmond und Siebengestirn am 10. März um 1.600 vor Christi Geburt am Himmel
Grafik: LDA Sachsen-Anhalt / Klaus Pockrandt

Wir sehen rechts einen Sichelmond. Links daneben ist ein Vollmond dargestellt. Der könnte aber auch die Sonne sein. Über die Scheibe sind einige Sterne verteilt. Auffällig ist der kleine Sternenhaufen in der Mitte der Scheibe. Diese 7 Sterne halten die Forschenden für das sogenannte Siebengestirn. Es erscheint nur zwischen Oktober und März am Himmel. Die Wissenschaft hat erkannt, dass die Himmelsscheibe hier ein Geheimnis erklärt. Nämlich das Geheimnis, wie man einen richtigen Kalender macht. Heute fügen wir alle 4 Jahre mit dem 29. Februar einen Extra-Tag hinzu. So, wie in diesem Jahr. Warum? Weil die 12 Monate eigentlich etwas zu kurz sind. Wenn es keinen Extra-Tag gäbe, würden sich die Jahreszeiten verschieben. Ganz langsam natürlich. Aber irgendwann wäre Weihnachten im Hochsommer.
Die Idee der Himmelsscheibe ist ganz ähnlich. Sie lautet: Beobachte den Himmel! Warte bis Siebengestirn und Sichelmond zusammen am Himmel stehen. Ist der Mond genauso dick wie auf der Scheibe? Dann füge einen zusätzlichen ganzen Monat ein! So kommen die Jahreszeiten nicht aus dem Takt. Denn früher richtete sich der Kalender nach dem Mond. Damals waren die Monate alle nur 28 Tage lang.

Das Siebengestirn ist ein Sternhaufen, den man mit dem bloßen Auge sehen kann. Er wird auch “die Plejaden” genannt. 7 Sterne leuchten besonders hell. In Wirklichkeit besteht er aber aus vielen hundert Sternen.

Damals war dieses Wissen so wertvoll, dass man es geheim hielt. Nur der Herrscher wusste davon. Und vielleicht der Schmied, der die Scheibe geschaffen hat. Wer über dieses Wissen verfügte, war sozusagen Herrscher über die Zeit. Doch woher wusste er all dies? Er muss eine lange Reise ins ferne Babylon gemacht haben. Dort hatte man seit langem schon die Sterne beobachtet. Der Fürst der Himmelsscheibe könnte sein Wissen also von dort haben. In seiner Heimat hat es ihn sehr mächtig gemacht. Er konnte den Himmel lesen und die Zeit bestimmen. Heute kann man einen Kalender einfach im Buchladen um die Ecke kaufen.

Wie die Sonne über den Himmel wandert

Eine schematische Darstellung der Himmelscheibe mit ihren HorizontbögenAuf der Himmelsscheibe befinden sich noch mehr geheimnisvolle Informationen. Und die haben viel mit der Sonne zu tun. Die frühen Menschen haben die Sonne stets angebetet, gefürchtet und genau beobachtet. Rechts und links am Rand hatte die Himmelsscheibe je einen goldenen Bogen. Diese „Horizontbögen“ hat einige Zeit später ein anderer Schmied hinzugefügt. Der linke Bogen ist leider verloren gegangen. Doch winzige Spuren beweisen, dass auch er aus Gold war. Mit den Bögen bekam die Himmelsscheibe Norden, Süden, Westen und Osten. Sie zeigte also die Himmelsrichtungen. So konnte die Scheibe wie eine Landkarte betrachtet werden. Die Bögen zeigen genau, wo die Sonne auf und unter geht. Der Sonnenaufgang wandert im Laufe des Jahres über den Horizont im Osten. Er wandert entlang des Horizontbogens hin und her. Der Sonnenuntergang macht es genauso, aber im Westen.

Der Horizont ist die sichtbare Grenze zwischen Himmel und Erde. Es sieht so aus, als würden Himmel und Erde sich dort treffen.

Mit dem Sonnenschiff durch die Nacht

Wieder einige Zeit später bekam die Himmelsscheibe den dritten golden Bogen. Die Forschenden sind überzeugt, dass es sich hierbei um ein Schiff handelt. Die vielen feinen Striche an den Rändern könnten Ruder sein. Im Alten Ägypten glaubte man an ein Sonnenschiff. In diesem Schiff fährt die Sonne über den Himmel. Nachts durchquert sie damit die Unterwelt. Dort muss sie mit einer riesigen Schlange und anderen Ungeheuern kämpfen. Doch jeden Morgen erreicht sie mit ihrem Schiff wieder den Himmel. Diese Idee eines Sonnenschiffes taucht in der Bronzezeit auch in Europa auf. Hat der Fürst der Himmelsscheibe diese vielleicht aus Ägypten mitgebracht?

Zeichnung: Ein Boot vor der Stadtmauer Babylons
Der Fürst der Himmelsscheibe erreicht Babylon.
Grafik: LDA Sachsen-Anhalt / Max Flügel

Reisen war damals eine lange und lebensgefährliche Angelegenheit. Aber wer es bis nach Hause zurückschaffte, konnte ein Held sein. Im Gepäck kostbare Schmuckstücke, getauscht gegen Bernstein, Werkzeuge oder Waffen. Aber nicht nur Waren wurden auf den langen Reisen getauscht. Auch Ideen und wertvolles Wissen gelangten so nach Europa. Im Herzen Deutschlands half dieses Wissen, ein großes Reich zu errichten. Es hatte über viele hundert Jahre bestand. Die Fürsten ließen sich unter riesigen Hügeln begraben. Mit ins Grab nahmen sie reiche Schätze aus Bronze und Gold. Im Leben waren sie mächtige Herrscher, die sogar über eine Armee verfügten.

In der Bronzezeit wurden bedeutende Gegenstände aus Bronze gefertigt. Zumeist waren das Werkzeuge und Waffen. Deshalb wurde diese zeit so genannt. Bronze ist ein Metall, das man erst aus Kupfer und Zinn herstellen muss. In Mitteleuropa hat die Bronzezeit 2.200 vor Christus begonnen. Sie endete 800 vor Christus.

Die Aunjetitzer Kultur

Die Kultur der Himmelsscheibe gab es in Mitteldeutschland, Tschechien und Polen. Diese Zeit wird Aunjetitzer Kultur genannt. Benannt wurde diese Kultur nach dem Ort Aunjetitz. Der liegt in Böhmen, nördlich der Stadt Prag. Das kann man sich kaum merken… Aber natürlich müssen wir es hier einmal erwähnen.

Das Wort “Kultur” bezeichnet eine Gemeinschaft von Menschen. Dazu gehört, wie Menschen leben und was sie wissen. Die Aunjetitzer Kultur war so etwas wie der erste Staat in Mitteleuropa. Die Aunjetitzer Kultur existierte etwa 750 Jahre. Sie entstand 2.300 vor Christus. Und sie endete etwa 1.550 vor Christus.

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Ausgabe: m 1/2024

Text: Marco Bianchi
Abbildungen: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

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