#Teilhabe – Inklusive Digitalisierung

Digitaler Fortschritt – bitte für alle!

Das Titelthema aus dem m-Magazin, Ausgabe 4-2020.

Handy, WhatsApp, Internet, Videokonferenzen – all dies wird gerade wichtiger für uns. Besonders in Corona-Zeiten können wir uns mit neuen digitalen Techniken begegnen. Sie unterstützen uns aber auch schon länger im Alltag und Arbeitsleben. Gleichzeitig erschaffen sie Hürden. Nicht alle Menschen kommen mit Blogs, Trackern oder YouTube spielend zu recht. Das zu überwinden fällt manchmal nicht nur Menschen mit Beeinträchtigung schwer. Zum Glück tut sich viel in Sachen digitale Barrieren.drei Menschen mit Maske schauen gemeinsam auf einen Laptop

„Wenn ich mich der Zeit nicht stelle, dann stellt mich die Zeit hintenan!“. Davon ist Werner Zimmermann überzeugt und hält sein Smartphone in die Luft. „Ohne das kann ich nicht mitmischen. Da stehe ich praktisch im Dunkeln!“ Herr Zimmermann besucht regelmäßig den Smartphone-Treff des Martinsclub in Kattenturm. Heute wird alles rund um Apps erklärt. Kursleiterin Jana Humann zeigt, wie man das Telefon mit dem Internet verbindet. Danach sind die Grundfunktionen der Kommunikations-App WhatsApp dran. „Die Teilnehmenden wissen unterschiedlich viel. Aber inzwischen ist das hier ein bisschen wie ein Familientreffen. Man hilft sich gegenseitig“, erklärt die gelernte Veranstaltungskauffrau. Ihr ist es wichtig, Angst zu nehmen. Auch Hansjürgen Beckmann kommt regelmäßig in den Kurs. Er war den Umgang mit neuer Technik als Diplom-Ingenieur immer gewohnt. „Ich bin begeisterter Smartphone-Anhänger!“, lacht er. Dann stellt Beckmann fest, dass meist mehr Frauen den Kurs besuchen. Vielleicht trauen die sich eher, sich etwas erklären zu lassen, überlegt er. Der Smartphone-Treff wird von der Aktion Mensch gefördert. Auch die Stadtteilblogger gehören zum Projekt „Begegnung im Stadtteil“. Hier arbeiten die Teilnehmenden als Reporterinnen oder Reporter. Sie verarbeiten Themen aus den Stadtteilen zu kurzen Videos. Damit wird dann ein eigener YouTube-Kanal bestückt. Stadtteilblogger gibt es in Kattenturm, Gröpelingen und Bremen-Nord. Einer der Kursleiter ist Lucas Werner. Er will Mut machen. Die Menschen sollen sich mit digitaler Technik beschäftigen. Das muss nicht nur in den sozialen Medien passieren. Auch Kameras gehören beispielsweise dazu. So erklärt er im Kurs, wie man Videos schneidet und ins Internet hochlädt. Das gesamte Projekt koordiniert Hedwig Thelen. Sie möchte mit den beiden Kursen eine Plattform für offenen Austausch bieten. „Besonders ältere Menschen fühlen sich oft abgehängt“, erklärt sie. „Es gibt Ängste vor Kostenfallen und Datenmissbrauch. Alles, was wir nicht richtig beherrschen, löst eine große Unsicherheit aus. Deshalb sind diese Angebote so wichtig. Wir wollen Menschen fit für den Umgang mit der Technik machen. Die Digitalisierung begegnet ihnen ja nicht nur in Form von Smartphones.“ Frau zeigt auf den Bildschirm ihres Handys

Was ist Digitalisierung überhaupt?

Ob im Auto oder im Supermarkt: Digitale Technik gehört zu unserem Alltag. Sie beeinflusst unsere Arbeitswelt, die Freizeit und das, was wir einkaufen. Diese Entwicklung können wir nicht aufhalten. Sie schreitet schnell voran. Und sie erleichtert uns in vielen Bereichen das Leben. Haushaltsroboter übernehmen lästiges Staubsaugen, Wischen oder Rasenmähen. Heizung, Fenster und Rollläden lassen sich automatisch steuern. Und elektronische Systeme sorgen für mehr Sicherheit beim Autofahren. Viele Entwicklungen wie zum Beispiel Pflegeroboter helfen älteren und pflegebedürftigen Menschen. So können sie länger selbstständig in den eigenen 4 Wänden leben. Für fast alles gibt es inzwischen ein unterstützendes Programm – eine App. Auch für Menschen mit Beeinträchtigung wird das Leben durch digitale Technik leichter. So verbessern digitale Hilfsmittel die Bewegungsabläufe. Oder Maschinen helfen, die Blindenschrift Braille besser lesen und schreiben zu können. Auch Medien zur Kommunikation und Information sind hilfreich.

Wo ist dann das Problem?

Die Digitalisierung wirft gleich eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auf. Sie verändert unsere Gesellschaft. Unser Miteinander. Man sieht Menschen, die in ihre Telefone blicken, statt sich zu unterhalten. Netflix ersetzt für immer mehr Menschen das herkömmliche Fernsehen. Die ganze Welt des Wissens ist in Sekundenschnelle abrufbar. Das gedruckte Buch weicht dem elektronischen Lesegerät. Und Spiele auf dem Smartphone, der Konsole oder dem Computer sind verlockend. Durch das Internet vernetzt man sich mit Spielpartnern auf der ganzen Welt. Das Picknick auf der Wiese mit Freunden wird dagegen zur Seltenheit.
Das Internet erzeugt auch eine neue Form der Kriminalität, den Datenmissbrauch. Unzählige persönliche Informationen werden online geteilt. Diese Daten müssen wir immer besser schützen. Und das Netz hat eine große Anziehungskraft. Für manche ist es so verlockend, dass sie danach süchtig werden. Für andere wiederum geht alles viel zu schnell. Die Technik entwickelt sich zu rasant. Nicht jeder kann diesen Wandel mitgehen und fühlt sich dadurch vom Fortschritt abgehängt.

Maschinen machen Teilhabe möglich

Dabei können digitale Medien Inklusion fördern. Sie haben die Möglichkeit, Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen. Ein Beispiel dafür ist „Knoffit“, ein Nachschlagewerk für Wörter in Einfacher Sprache. Oder die Internetseite Wheelmap.org. Das ist eine Online-Karte zum Suchen, Finden und Markieren von rollstuhlgerechten Orten. „Digitale Hilfsmittel, zum Beispiel Smartphones und Tablets können als Teilhabemaschinen betrachtet werden.“ Davon ist Dr. Bastian Pelka von der Universität Dortmund überzeugt. Er warnt gleichzeitig davor, dass künftig eine gesellschaftliche Trennung entstehen könnte. Eine Kluft zwischen Menschen, die das Internet nutzen und anderen. „Onliner und Offliner werden voneinander getrennt. Erstere ziehen Nutzen aus der Digitalisierung. Letztere werden abgehängt. Gesellschaftliche Teilhabe funktioniert mehr und mehr über digitale Medien. Dadurch entstehen neue Barrieren. Zum Beispiel für Menschen, die technisch nicht gut ausgestattet sind.“

Digitale Bordsteinkanten

Was aber, wenn der Zugang zu digitaler Informationstechnik für einzelne versperrt ist? Immerhin gibt es in diesem Bereich viele technische und sprachliche Barrieren. Dann muss die Technik umgestaltet werden. Auch Menschen mit Behinderungen müssen sie nutzen können. Dies voranzutreiben ist Aufgabe von Ulrike Peter. Sie leitet die Zentralstelle für barrierefreie Informationstechnik beim Bremer Landesbehindertenbeauftragten.
„Wann digitale Auftritte und Angebote barrierefrei sind, regelt ein Gesetz. Sie müssen für Menschen mit Behinderung wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein. Internetseiten zum Beispiel müssen eine Erklärung zur Barrierefreiheit enthalten. Das ist vergleichbar mit Erklärungen zum Datenschutz“, erklärt sie. Darunter fallen Internetseiten, Apps und grafische Programmoberflächen. Betroffen sind beispielsweise auch Bankautomaten oder Informationsgeräte in Behörden.
Bremen setzt damit eine europäische Gesetzgebung um. Danach müssen alle digitalen Angebote technisch auf dem selben Stand sein. Nur dann ist Teilhabe für alle möglich. Menschen mit Beeinträchtigung sollen technische Angebote ohne Schwierigkeiten finden können. Sie müssen zugänglich und nutzbar sein. Dafür ist eine leichte Sprache wichtig. Und auch Gebärdenvideos oder Bilder, die mit Text hinterlegt sind, helfen. Wer auf Hindernisse im Internet stößt, kann sich übrigens beschweren. Dafür gibt es ein Formular auf der Webseite des Landesbehindertenbeauftragten. Ulrike Peter möchte, dass diese Möglichkeit noch bekannter wird. Zunächst allerdings muss man sich direkt an die jeweilige Webseite wenden. Bislang gilt die Beschwerdemöglichkeit nur für Internetseiten öffentlicher Stellen wie Behörden. „Bremen ist im Bundesvergleich gut aufgestellt. Wir testen die digitalen Angebote seit 2019. In sehr vielen Bereichen haben wir Barrierefreiheit. Außerdem gibt es Projekte wie die Herbsthelfer.“ Das Vorhaben wurde bereits Ende 2017 ins Leben gerufen. Der Anstoß dazu kam vom Finanzressort und der Senatorin für Soziales, Anja Stahmann. Dabei geht es darum, ältere Menschen im Umgang mit digitalen Medien zu unterstützen. Auch das ist ein Beitrag, einer digitalen Spaltung der Gesellschaft zu begegnen. Corona hat gezeigt, wie wichtig es ist, alle Menschen mitzunehmen. Nicht jeden haben die Verordnungen der Stadt erreicht. Auch haben manche Menschen die Regeln nicht verstanden. Deshalb gibt es die Verordnungen nun in einfacher Sprache und in vielen Fremdsprachen. „Und die Pressekonferenzen des Senats werden grundsätzlich gebärdet“, so Ulrike Peter.

Zoom dich ran

Durch das Virus haben sich viele unserer Kontakte ins Digitale verschoben. Denn plötzlich waren Büros, Schulen und Universitäten geschlossen. Videochats wurden zur neuen Normalität. Dennoch sind und bleiben sie anstrengend. Viele mussten lernen, wie Videosoftware funktioniert. Zoom gehört dazu. Auch für die Studierenden war es eine Umstellung. Eva Maria Feichtner ist Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Universität Bremen. Sie erzählt, dass gerade für ältere Mitarbeitende die Umstellung schwierig war. Auch sollte auf Studierende mit Beeinträchtigungen Rücksicht genommen werden. Die Kritische Initiative für Vielfalt an der Uni setzt sich für Inklusion ein. Sie hat gesammelt, was für Studierende mit Beeinträchtigungen wichtig ist. Zum Beispiel wurden Untertitel bei Vorlesungen oder Übersetzungen in Gebärdensprache genannt. Einige Vorlesungen wurden aufgenommen und konnten jederzeit wieder angesehen werden. Das war für viele Studierende mit Einschränkungen toll. Sie konnten ihre Zeit neu einteilen oder besser zuhören. Für das nächste Semester gibt es an den Unis noch viel zu verbessern. In den Schulen haben die Schließungen einen regelrechten digitalen Boom ausgelöst. Je nach Bundesland arbeiten 60 bis 80 Prozent der Schulen inzwischen mit einer Cloud. Hier können Nachrichten verschickt und Dateien gemeinsam bearbeitet werden. Die Zeit von Arbeitsblättern scheint vorbei zu sein. Nicht anders sieht es bei den Endgeräten aus. Über die Bremer Schulen schwappt gerade eine Welle von Laptops und Tablets. Viele Schülerinnen und Schüler müssen dies erst einmal verarbeiten. Lehrerende, Schülerinnen und Schüler müssen fit gemacht werden. Eine Herkulesaufgabe! Person schaut auf Text auf ihrem Handy

Nähe ist wie Sauerstoff

Dennoch: Digitale Medien können den direkten Kontakt nicht ersetzen. Davon ist der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth überzeugt. Lehrer und Schüler müssen sich treffen. Online bleiben Teile der Kommunikation auf der Strecke. Das geschriebene oder gesprochene Wort wird gut übermittelt. Wichtig sind aber auch andere Mittel der Kommunikation. Blickkontakt, Gesichtsausdrücke oder Körperbewegungen sind digital schwer wahrnehmbar. Dies hat Roth bei einer Onlinetagung der evangelischen Akademie Hofgeismar erklärt. Dabei ist zwischenmenschliche Nähe so wichtig wie Sauerstoff. Das findet auch Cornelia Holsten. Sie ist Direktorin der Bremer Landesmedienanstalt. „In digitalen Begegnungen können wir uns durchaus nah sein. Aber nur, wenn wir die Technik beherrschen. Erst dann können wir uns auf unser Gegenüber konzentrieren. Erst dann können wir hm zeigen, dass wir uns für ihn interessieren.“ Deshalb ist die Vermittlung von digitaler Kompetenz für uns alle so wichtig. Sie lässt Menschen mit und ohne Beeinträchtigung näher zusammenrücken. Im November sollte ein Fachtag zu diesem Thema stattfinden. Der Name: „#teilhabe“. Der Martinsclub, der Bremer Landesbehindertenbeauftragte und die Landesmedienanstalt wollten ihn veranstalten. Coronabedingt wird der Tag nun im Juni 2021 stattfinden. Dann können sich Menschen mit und ohne Behinderung über Mediennutzung austauschen. Hier werden Ängste genommen und Fertigkeiten vermittelt. Der Fachtag macht Menschen fit für die digitale Welt. Er ist damit ein weiterer Baustein, wie das Projekt „Begegnung im Stadtteil“. Denn so kann Teilhabe entstehen.

 

Kurz erklärt

Digitalisierung ist die wichtigste gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung unserer Zeit. Der Begriff hat verschiedene Bedeutungen. Er bezeichnet zum einen die Umwandlung von analogen Daten in eine digitale Form: Zum Beispiel einen handgeschriebenen Brief in eine Textdatei. Aber mit Digitalisierung ist auch die Umstellung auf computergesteuerte Maschinen in der Industrie gemeint. Ihren Anfang nahm die Digitalisierung zu Beginn der 90er Jahre durch die Verbreitung des Internets.

Digitale Barrieren liegen vor, wenn Angebote im Internet nicht wahrnehmbar, bedienbar oder verständlich gestaltet sind.

 

Dieser Text ist zuerst als Titelthema in unserem Magazin “m”, Ausgabe 4/2020 erschienen. Mehr Information zum “m” gibt es hier.

Heche, Benedikt
Agentur selbstverständlich
Geschäftsführung