…kann sich das ganz unterschiedlich anfühlen.
Zum Beispiel, wenn eine frisch eingestiegene Kollegin auf einen „alten Hasen“ trifft. Amaia de Andrés ist noch ganz neu beim Martinsclub. Sie macht ein duales Studium der Sozialen Arbeit. An der Hochschule Bremen lernt sie die Theorie. Die praktischen Erfahrungen sammelt sie im Martinsclub. Seit April 2020 ist de Andrés dort im Wohnbereich tätig. Im Haus Halmerweg unterstützt sie die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem Alltag. Matthias Süßebecker arbeitet schon seit 2004 beim Martinsclub. Er ist als Teamleitung in der Bremer Neustadt tätig. Er und sein Team helfen Menschen beim Wohnen.
Frau de Andrés, Sie studieren und machen gleichzeitig eine Ausbildung. Wieso haben Sie sich für diese „duale Ausbildung“ entschieden?
Ich möchte meinen Job nicht nur „irgendwie“ erledigen, sondern richtig. Die Verbindung von Praxis und Theorie ist sehr hilfreich. Meine Kolleginnen und Kollegen geben ihre Erfahrungen an mich weiter. Davon profitiere ich.
Und was fasziniert Sie an der sozialen Arbeit?
Es ist mir sehr wichtig, dass jeder Mensch ein selbstständiges Leben führen kann. Wer dies nicht alleine kann, sollte Unterstützung bekommen. Dafür müssen wir als Gesellschaft sorgen. Körperliche oder geistige Beeinträchtigungen dürfen dabei doch kein Hindernis sein. Ich glaube, dass ich mit meiner Arbeit etwas bewirken kann. Das spornt mich an. Durch mein Handeln erlangen die Bewohnerinnen und Bewohner ein Stück Freiheit und Selbstständigkeit. Das ist mein Antrieb. Ich kann dazu beitragen, ihnen Halt und Struktur zu geben. Daher empfinde ich meine Arbeit als sinnvoll und erfüllend.
Herr Süßebecker, was treibt Sie an?
Vor meiner Tätigkeit beim Martinsclub habe ich in unterschiedlichen Projekten gearbeitet. In Handwerk, Kunst, Kultur und Politik. Dass ich dann Heilerziehungspfleger wurde, war ein glücklicher Zufall. Mein Antrieb ist der Inklusionsgedanke. Und den beziehe ich nicht nur auf Menschen mit Beeinträchtigungen. Es gibt ja auch andere soziale Gruppen, die ausgegrenzt werden. Und leider gibt es zunehmend politische Tendenzen, die Aus- und Abgrenzungen fordern. Mit meiner Arbeit möchte ich dem entgegenwirken. Deshalb bin ich auch mit der Berufsbezeichnung Heilerziehungspfleger unzufrieden. Wir sind keine Mediziner oder Schamanen. Wir können nicht heilen. Ich verstehe mich als Fachkraft für Inklusion.
Die Arbeit im sozialen Bereich ist nicht immer einfach. Wie gehen Sie mit Rückschlägen um? Was motiviert Sie, weiterzumachen? Und haben Sie schon einmal daran gedacht, aufzugeben?
de Andrés: Natürlich gibt es auch mal eine Krise. Streit und Meinungsverschiedenheiten gehören zu meiner Arbeit dazu. Aber, was bergab geht, geht auch wieder bergauf. Das ist mein Motto. Meiner Meinung nach sollte man Rückschläge und Misserfolge nicht nur negativ betrachten. Rückschläge sind wichtig, um voranzukommen. Dann können Rückschläge für mich letztlich auch Fortschritte sein. Das ist ein wichtiger Aspekt meines Jobs. Schließlich habe ich hier nicht mit Gegenständen zu tun, sondern mit Menschen. Menschen, die ihre eigene Persönlichkeit haben. Darauf muss ich mich einlassen, und das mache ich sehr gerne. Geduld ist ein wichtiger Faktor, der mir dabei hilft.
Süßebecker: An Aufgeben habe ich auch bei Rückschlägen noch nie gedacht. Ich bin nach wie vor froh, diesen Beruf ausüben zu können. Meine wichtigste Kraftquelle ist zurzeit das Team, in dem ich arbeite. Es ist eine Mischung spannender Persönlichkeiten. Alle stellen täglich ihren guten Willen zur Zusammenarbeit unter Beweis.
Was ist, neben der Teamarbeit, besonders schön an Ihrem Job?
Süßebecker: An meinem Beruf gefällt mir, dass vieles nicht planbar ist. Natürlich werden trotzdem Pläne gemacht. Aber in der Zusammenarbeit mit den Nutzern kommt es immer wieder zu unerwarteten Entwicklungen. Ich muss also ständig einen Plan B, C oder D aus dem Hut zaubern. Das erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Das heißt: immer volle Konzentration. Halbes Engagement wird nicht akzeptiert. Das ist emotionaler Leistungssport.
Und was macht Ihnen Freude im Beruf, Frau de Andrés?
de Andrés: Das Besondere, das sind die kleinen Dinge. Gemeinsam lachen zum Beispiel. Das sind schöne Momente, die sehr befreiend sein können. Allgemein erfahre ich viel Dankbarkeit. Es ist schön zu sehen, wenn die Nutzerinnen und Nutzer sich immer wieder aufs Neue motivieren. Wenn sie ihre Probleme anpacken und sich nicht hängen lassen. Wenn es mir gelingt, sie dabei zu unterstützen, weiß ich, wofür ich es mache.
Frau Andrés, Sie stehen in Ihrem Berufsleben noch ganz am Anfang. Was erwarten Sie für die Zukunft?
Neue Herausforderungen nehme ich gerne an, um daran zu wachsen. Mein erlerntes Wissen werde ich in unterschiedlichen Situationen anwenden müssen. Darauf bin ich sehr gespannt. Und natürlich möchte ich auch meine eigenen Ideen immer weiterentwickeln. Im Team gemeinsam nach Lösungen zu suchen, das finde ich spannend.
Herr Süßebecker, wie hat sich Ihr Beruf verändert?
Wir haben in den vergangenen Jahren viel an neuen Wohnformen gearbeitet. Wir möchten Alternativen zur stationären Betreuung in den klassischen Wohnheimen schaffen. In der sogenannten „Ambulantisierung“ unterstützen wir Menschen in ihren eigenen 4 Wänden zu leben. Die Hauptaufgabe dabei war und ist, den Menschen Selbstvertrauen zu vermitteln. Auch Vertrauen in Mitmenschen ist wichtig. Ohne Selbstvertrauen und Vertrauen in andere Menschen ist Inklusion nicht möglich. Die Pandemie-Zeit könnte die Ergebnisse unserer Arbeit gefährden. Die Verhaltensregeln wie „Kontaktsperren“ und „Abstand halten“ sowie die überall spürbare Verunsicherung verunsichern natürlich auch unsere Nutzer.
Würden Sie jungen Menschen raten, einen sozialen Beruf zu ergreifen?
Süßebecker: Ich würde allen jungen Menschen, die noch keine Entscheidung über ihre berufliche Zukunft getroffen haben, raten, möglichst viel auszuprobieren. Dabei ist es wichtig, sich selber zu testen und ehrlich zu reflektieren. Ohne echte Überzeugung ist es in jedem beruflichen Umfeld schwer.
Andrés: Ich würde zu einem sozialen Beruf raten, sofern man gewisse Eigenschaften mitbringt. Kontaktfreudigkeit sowie Interesse am Wohlergehen anderer Menschen sollten vorhanden sein. Wichtig ist es auch, trotz aller menschlichen Nähe, Distanz wahren zu können. Und Geduld spielt eine tragende Rolle. Ich erlebe meine Arbeit als sehr sinnvoll und erfüllend.
Vielen Dank!
Dieses Interview erschien zuerst im m 2/2020.
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